Klaus Wigand: „Tod, Nachlass und Erben sind immer noch Tabuthemen“
Anlässlich der Veröffentlichung des Buches „Generationen- und Stiftungsmanagement für Kreditinstitute und Finanzdienstleister“ führte GeVestor ein exklusives Interview mit einem der Autoren:
GeVestor: Herr Wigand, Sie haben vor 15 Jahren die Kanzlei Wigand gegründet; eine Kanzlei, die sich auf die Vermögensnachfolge spezialisiert hat. Welchen Stellenwert wird die Vermögensnachfolge in der Zukunft haben?
Klaus Wigand: Nach einer aktuellen Studie der Postbank werden in Deutschland bis 2020 rund 2.600 Mrd. € vererbt. Das ist verglichen mit der Zeitspanne von 2001-2010 ein um etwa 20% höherer Betrag. Vor diesem Erbvolumen fallen nach Schätzungen allein 1.600 Mrd. € auf Geld- und Sachvermögen, was etwa 1/4 des gesamten Privatvermögens der deutschen Haushalte entspricht.
Wie Sie sehen, hat die Vermögensnachfolge in der Zukunft erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung, was sich natürlich in Verbindung mit dem demografischen Wandel auch auf viele Wirtschaftsbereiche, insbesondere die Dienstleistungs-Branche auswirkt. Aus diesem Grunde habe ich mich bereits vor fast 20 Jahren als Anwalt auf die Vermögensnachfolge spezialisiert.
GeVestor: Wie kamen Sie auf die Idee, Ihr Wissen in Buchform zu veröffentlichen?
Wigand: Meine Kanzlei und die mit uns verbundenen Kooperationspartner, ein bundesweit tätiger Stiftungsverwalter (Deutsche Stiftungsagentur) und ein bundesweit tätiger Testamentsvollstrecker (Deutsche Nachlass), sind seit vielen Jahren als Berater in der Finanzdienstleistungs-Branche unterwegs, insbesondere bei Banken, Sparkassen und Volksbanken sowie bei Vermögensverwaltern.
Wir beraten deren vermögende Privatkunden und Unternehmenskunden bei Nachfolge- und Stiftungsgestaltungen und geben den Instituten Hilfestellung, dieses Thema im eigenen Haus und bei ihren Kunden zu platzieren.
Leider haben wir in diesen Jahren festgestellt, dass viele Finanzdienstleister dieses wichtige Thema nicht ernst genug nehmen und stattdessen vertriebs- und ertragsorientierte Themen in den Vordergrund stellen; andererseits aber viele Kreditinstitute durch unvorhergesehene Erbfälle im Laufe der Zeit große Vermögenswerte als Anlagevolumen verlieren und dann fast „verzweifelt“ versuchen, diesen Verlust durch Neuakquisition und extreme Vertriebsorientierung auszugleichen, statt sich rechtzeitig um den Verbleib des durch Erbfall gefährdeten Vermögens zu kümmern.
Hier wollten wir der Finanzdienstleistungs-Branche mit diesem Buch eine Hilfestellung geben – und zwar sowohl dem einzelnen Kundenberater durch zahlreiche Fallbeispiele, als auch den Entscheidern bei der Frage, wie man sich als Kreditinstitut oder anderer Finanzdienstleister zu diesem Thema „richtig“ aufstellt.
GeVestor: Wie kam die Idee Generationen-Management mit Stiftungs-Management zu verbinden?
Wigand: Dies ist eine rein praktische Notwendigkeit. Beide Themen sind miteinander in den meisten Fällen untrennbar verbunden. Viele Kreditinstitute schreiben sich zwar das Thema Stiftungs-Management auf die Fahnen, wundern sich dann aber, warum die „Vertriebserfolge“ hierbei gering bleiben oder ganz ausbleiben.
Verkannt wird dabei, dass man bei den Kunden zu diesem Thema nur selten „den Mäzen“ anspricht, sondern die meisten Kunden mit dem Thema Stiftung auf den ersten Blick gar nichts anfangen können, sich gar nicht als Stifter sehen und dies für ein Thema der Superreichen halten.
Dabei wird von den Kunden und den Beratern verkannt, dass die Stiftung in vielen Fällen die ideale Lösung des eigentlichen Nachfolgeproblems der Kunden darstellt. Nämlich insbesondere bei alleinstehenden und kinderlosen Kunden oder bei Unternehmern.
Spricht man – auch als Kundenberater – diese Kunden auf ihr eigentliches Nachfolgeproblem an, rennt man in der Regel offene Türen ein und kann dann dabei auch das Thema Stiftung platzieren.
In den allermeisten Fällen muss dieses Thema jedoch auch von Seiten der Kundenberater in den Gesamtzusammenhang des Generationen-Managements, d.h. der umfassenden und ganzzeitlichen Nachfolgeberatung des Kunden gestellt werden.

Rechtsanwalt: Klaus Wigand.*
GeVestor: Das Thema Generationen-Management wird immer wichtiger, trotzdem kümmern sich nur wenige Menschen um ihren Nachlass. Woran könnte das liegen?
Wigand: Das Thema Tod und Nachlass, Erben und Vererben ist bei uns immer noch ein Tabuthema, auch wenn es regelmäßig in allen einschlägigen Medien auftaucht.
Dabei weiß jeder Mensch, insbesondere jeder vermögende Kunde eines Kreditinstituts, dass die Regelung dieses wichtigen Themas – insbesondere ab einem gewissen Alter – in bestimmten Familien-Konstellationen und auch ab einem gewissen Vermögen sehr bedeutsam oder sogar unumgänglich ist und gegebenenfalls auch viel Geld in Form von Erbschaftsteuer spart.
Dennoch trauen sich viele nicht, das Thema anzugehen – und zwar nicht nur aus Angst vor dem Tod, sondern weil ihnen schlicht die Unterstützung im Umgang mit diesem Thema fehlt; denn an wen sollen sie sich wenden? Der Steuerberater ist oft überfordert und der Notar oder Anwalt wird als „zu teuer“ angesehen.
Quasi der „natürliche Ansprechpartner“, um in dieses Thema einzusteigen, ist häufig der Kundenberater der Bank oder Sparkasse. Dieser kann das Thema in regelmäßigen Abständen ansprechen und auch mit geeigneten Unterstützungs-Maßnahmen und der Vermittlung von weiteren Ansprechpartnern den Kunden bei der Umsetzung helfen.
GeVestor: Was sind die häufigsten Fehler der Kunden?
Wigand: Sicher spielen handwerkliche Fehler bei der Nachlassregelung eine der wichtigsten Rollen. Ursache hierfür ist oft die Honorarscheu der Kunden, die befürchten, bei einer fachkundigen rechtlichen oder steuerlichen Nachfolgeberatung viel Geld „zu verlieren“.
Dabei wird verkannt, dass sich die fachlich fundierte Nachlassregelung in der Regel locker „amortisiert“; sei es, dass Erbschaftssteuern in Höhe eines Vielfachen der anfallenden Beratungskosten oder im Erbfall Kosten überflüssiger Streitereien erspart werden.
Vielfach ist aber auch das zu lange Zuwarten mit einer Nachlassregelung ein großer Fehler; sei es, dass ein unerwarteter Erbfall eintritt, oder die Kunden im Alter oft nicht mehr in der Lage sind, die damit verbundenen komplexen Fragestellungen zu verstehen und entsprechende Entscheidungen zu treffen.
GeVestor: Sie sprechen mit ihrem Buch gezielt Kundenberater an; wie sieht die Beratungssituation zu diesem Thema aus?
Wigand: Siehe oben; man muss hier sicher betonen, dass es in einzelnen Banken, Sparkassen, Volksbanken und auch bei sonstigen Finanzdienstleistern ausgezeichnete Beratungskonzepte zu diesem Thema gibt und sich auch viele Beraterpersönlichkeiten um das Thema bei ihren Kunden ganz außerordentlich bemühen.
Die Regel ist das allerdings nicht! In vielen Häusern stehen nun einmal vertriebliche Themen im Vordergrund und bei dem üblichen, sehr kurzfristig ausgelegten Ertragsdruck, der auf den Kundenberatern lastet, ist in der Regel kein Raum für langfristig orientiertes Handeln, wozu auch das Generationen- und Stiftungsmanagement gehören.
Dabei gibt es auch Häuser, bei denen es trotz eines guten strategischen Ansatzes nicht gelingt, die Kundenberater zur Ansprache ihrer Kunden hierzu zu motivieren; in anderen Häusern erkennen die Kundenberater zwar selbst aus ihren Kundengesprächen diesen Bedarf, jedoch nicht die Führungsebene bzw. der Vorstand.
„Umsetzungsprobleme“ mit diesen Themen gibt es auf allen Hierarchieebenen, wobei man sich natürlich auch keine Illusionen machen darf, dass dieses Thema jemals die gleiche Bedeutung wie Vertriebsthemen haben wird.
GeVestor: Welchen Nutzen haben Banken von einem Ausbau des Generationen-Managements in ihrem Hause?
Wigand: Hierzu gibt unser Buch natürlich ausführliche Antworten. Im Kern geht es darum, dass vielen Banken beim Tod ihrer Kunden der Verlust der über die Jahre angesparten Einlagen droht; sei es, weil die Erben des Kunden die Einlagen nach Erteilung des Erbscheins einfach abheben, ohne dass der Kundenberater noch eine Chance bekommt, diese im Haus zu behalten, oder sei es, dass ein Großteil der Einlagen durch (teilweise unnötige) Erbschaftsteuer, Pflichtteilsansprüche oder andere Zahlungen nach dem Erbfall abfließt.
Sieht man diese Problematik vor dem Hintergrund der teilweise sehr „überalterten Klientel“ in den Privat-Banking-Abteilungen von Banken und Sparkassen, wird jedem eigentlich schnell klar, dass dies im Verlauf der Jahre mitunter sogar existenzbedrohend für einzelne Häuser oder Abteilungen werden kann.
Hiergegen kann man mittelfristig nur mit einem gezielten und professionellen Generationen-Management neben gezielter Neuakquise entgegen wirken.
Dabei ist es nämlich betriebswirtschaftlich für jeden Finanzdienstleister deutlich billiger, Anlagevermögen von 1 Mio. € durch Maßnahmen des Generationen-Managements im Haus zu behalten als den gleichen Betrag als Vermögensanlage neu zu akquirieren. Leider ist diese einfache betriebswirtschaftliche Rechnung noch nicht in allen Führungsetagen der Finanzbranche angekommen!
GeVestor: In den letzten Jahren boomt der Stiftungsmarkt. Wie erklären Sie sich diesen Zustand?
Wigand: Wesentlich zu dem Stiftungsboom beigetragen haben sicherlich die diversen steuerlichen Reformen der letzten Jahre, zuletzt 2007, in denen die steuerlichen Anreize für Stifter zum Teil deutlich angehoben wurden.
So steht Stiftern mittlerweile ein Sonderausgabenabzug alle 10 Jahre in Höhe von bis zu 1 Mio. € zur Verfügung – Ehegatten sogar bis zu 2 Mio. € – für die Übertragung von Vermögen auf eine gemeinnützige Stiftung.
Ein anderer Grund ist meines Erachtens auch die steigende Zahl alleinstehender Personen, die mittels einer (gemeinnützigen) Stiftung ihren Nachlass regeln wollen. Schließlich gibt es auch eine recht große Gruppe von Stiftern, die auch schon in jüngeren Jahren aus Dankbarkeit für ein erfolgreiches Leben der Allgemeinheit durch eine gemeinnützige Stiftung etwas zurückgeben wollen, wenn sie z.B. Ihr Unternehmen erfolgreich verkauft haben.
GeVestor: Wie können Stiftungen zur Nachlassverwaltung werden? Welche Vorteile gibt es dabei?
Wigand: Stiftungen eignen sich nahezu ideal zur Regelung des eigenen Nachlasses. Insbesondere dann, wenn als Erben keine nahen Verwandten vorhanden sind oder in Betracht kommen, bietet es sich für viele an, mit einer Stiftung den eigenen Erben zu schaffen.
Wir sprechen hier insbesondere von gemeinnützigen, d.h. steuerbefreiten Stiftungen, auf die das Vermögen des Stifters entweder zu Lebzeiten oder im Erbfall völlig steuerfrei übergehen kann, d.h. ohne Schenkungs- oder Erbschaftssteuer.
Sogenannte Familienstiftungen spielen dagegen in der Praxis bei der Nachfolgeplanung eine recht untergeordnete Rolle.
Diese Rolle hat jedoch in den letzten Jahren ebenfalls stark zugenommen, vor allem aber im Bereich der Unternehmensnachfolge, da es mittlerweile (noch) möglich ist, ein Unternehmen gegebenenfalls völlig steuerfrei auch auf eine Familienstiftung zu übertragen, während die Übertragung vom sonstigen Vermögen auf eine Familienstiftung in der Regel recht hohe Schenkungs- oder Erbschaftssteuer auslöst.
Daher eignen sich Familienstiftungen als Instrument der Nachfolgeregelung derzeit (noch) insbesondere für Unternehmensvermögen. Im Übrigen spielen allerdings die gemeinnützigen Stiftungen in der Nachfolgeplanung eine viel größere Rolle. Immerhin sind über 95% der Stiftungen in Deutschland gemeinnützig, d.h. steuerbefreit.
GeVestor: Was empfehlen Sie Kunden, die Stiftungen gründen wollen?
Wigand: Meistens geht es hier ja um die Errichtung einer eigenen gemeinnützigen Stiftung. Um sich über den Zweck der eigenen Stiftung klar zu werden, sollten die Kunden einen erfahrenen Stiftungsfachmann zu Rate ziehen, der sich auch im Bereich der unselbstständigen Stiftungen, d.h. bei sogenannten Treuhandstiftungen auskennt.
Die Treuhandstiftung ist eine echte Alternative zur eigenen rechtsfähigen Stiftung, die von vielen Beratern unterschätzt wird und großteils noch völlig unbekannt ist.
Stiftern, die sich mit dem Gedanken an eine Stiftungsgründung tragen, ist grundsätzlich zu empfehlen, dies zu Lebzeiten zunächst mit einem kleineren Betrag „auszuprobieren“, erste Erfahrungen zu sammeln und die Stiftung dann nach und nach entweder zu Lebzeiten oder erst durch Testament im Todesfall mit weiterem Vermögen auszustatten.
Hierbei hat die unselbstständige Treuhandstiftung viele Vorteile, da sie anders als die rechtsfähige Stiftung zu Lebzeiten ohne Weiteres den Zweck oder die Organisationsform je nach Wunsch des Stifters ändern kann. Sie eignet sich damit besser zum „Ausprobieren“ der eigenen Stiftung als eine rechtsfähige Stiftung. Zudem kann Sie jederzeit in eine rechtsfähige Stiftung „umgewandelt“ werden.
Klaus Wigand hat im Jahr 2001 BRIDGES Kanzlei Wigand gegründet, die sich auf das Thema Vermögensnachfolge spezialisiert hat. Lesen Sie hier mehr über die Autoren.
Das Buch ist im Bank-Verlag Köln erschienen und kostet 98,00€.
*(c) BRIDGES Kanzlei Wigand.