Helmut Kohl: Wirtschaftspolitik stand weniger im Fokus
Nach dem Tod von Helmut Kohl am 16. Juni würdigten ihn alle als großen Staatsmann, Kanzler der Einheit oder Wegbereiter des Euro. Seltsamerweise wurde kaum über die Wirtschaftspolitik von Helmut Kohl gesprochen.
Einen Teil erklärt wohl die Tatsache, dass er zwar ein hervorragender Taktiker, Netzwerker und Visionär war, an der Wirtschaft selbst jedoch wenig Interesse zeigte. Selbst zum Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte er ein eher distanziertes Verhältnis.
Helmut Kohls Wirtschaftspolitik
Dies war zumindest die Außenwahrnehmung. Helmut Kohls Wirtschaftspolitik setzte generell auf die Kräfte der Marktwirtschaft, wurde aber besonders während des Zerfalls der Sowjetunion und der DDR von der großen politischen Linie überstrahlt und beeinflusst. Trotz der weit reichenden wirtschaftlichen Entscheidungen in dieser Phase wird Kohl weniger mit Wirtschaftspolitik in Verbindung gebracht als sein Vorgänger Schmidt und sein Nachfolger Schröder.
Helmut Schmidt gab sich als Ökonom, der als Keynesianer mit staatlichen Ausgaben für Nachfrage und begrenzte Arbeitslosigkeit sorgen wollte. Dafür vervierfachte sich bis zum Ende seiner Amtszeit die Staatsverschuldung. Die Inflation blieb mit Werten zwischen 5 % und 7 % auf hohem Niveau und die Sozialabgaben wurden erdrückend.
Als Helmut Kohl 1982 Kanzler wurde, steckte die Wirtschaft in einer tiefen Krise. Drei Jahre später stand sie in neuer Blüte. Bei einer Inflationsrate von 1,5 % wuchs das Bruttoinlandsprodukt um mehr als 3 % und der Exportüberschuss in der Handelsbilanz wuchs auf 73 Mrd. D-Mark an. Gleichzeitig gelang es, die Neuverschuldung zu verringern. Lediglich die Arbeitslosenzahl blieb mit 2,6 Mio. recht hoch.
Ob dies der Verdienst Helmut Kohls war, wird von vielen bezweifelt. Zum großen Teil trugen die weltwirtschaftliche Entwicklung sowie ein immer stärkerer Dollar zu dieser Entwicklung bei. Und die Bundesbank alimentierte sich durch beträchtliche Zins- und Wechselkursgewinne aus Guthaben auf Dollarbasis. Dennoch war die Rückführung von neuen Schulden ein Markenzeichen der Wirtschaftspolitik unter Helmut Kohl. Im Vergleich zu Schmidt war sie mehr marktorientiert, doch es fehlte der große Wurf.
Im Schatten der Wiedervereinigung
Das System von Subventionen blieb im Wesentlichen unverändert. Abgesehen von der Öffnung des bislang rein öffentlich-rechtlichen Rundfunkwesens oder der beginnenden Verkabelung Deutschlands gab es weder weitreichende Privatisierungen noch tiefgreifende Reformen. Viele Ratschläge schienen an ihm abzuprallen.
Für ihn zählten die großen Visionen: die deutsche und die europäische Einheit. Die Wirtschaft sollte sich dem unterordnen, bei der 1:1-Übernahme der D-Mark im Osten genauso wie bei der Vorbereitung zum Euro. Anfangsfehler und mangelhafte Sicherungssysteme sorgten Jahre später immer wieder für Nachbesserungsbedarf.
Helmut Kohls Wirtschaftspolitik war gerade in der Umgestaltung der maroden DDR gefordert. Die ehemaligen Kombinate gingen in der Treuhandgesellschaft auf und wurden stillgelegt oder saniert und privatisiert. Kohl selbst setzte sich aktiv für den Erhalt und Ausbau von Chemiestandorten, der optischen Industrie, Maschinenbau oder Werften ein.
Dennoch schaffte er es nicht, deutsche Konzerne schwerpunktmäßig in die neuen Bundesländer zu locken. Die beschränkten sich auf Produktionsstätten im Osten. Der wohl einzige Aufsteiger war Jenoptik unter Lothar Späth. Das Jenaer Unternehmen kaufte Firmen und Konkurrenten im Westen auf und agierte recht schnell auf Augenhöhe. Ansonsten blieb der Osten eine verlängerte Werkbank.
Wichtige Reformen ausgesessen
Im Detail hatte sich Kohl an einigen Punkten verschätzt. Auch ging die Rechnung nicht auf, die Wiedervereinigung aus der Portokasse und ohne Steuererhöhungen zu zahlen. Der Solidaritätszuschlag etwa ist eines der Ergebnisse von Helmut Kohls Wirtschaftspolitik, die uns bis heute begleiten.
Der Soli wurde zwar erst unter Gerhard Schröder eingeführt, doch er steht stellvertretend dafür, wie Kohl Probleme aussaß und nach 16 Jahren Amtszeit an die Nachfolger weiterreichte. Bezeichnenderweise war es Schröder, der sich mit der Agenda 2010 an notwendige Reformen wagte.
Allerdings hatte Kohl einmal selbst gesagt, wie er zum Thema Wirtschaftpolitik steht: „Ich will nicht den Ludwig-Erhard-Preis gewinnen, sondern die nächsten Wahlen.“ Die letzten Wahlen verlor er – unter anderem, weil ihm wirtschaftliche Visionen weniger wichtig erschienen.