Der perfekte Einstieg mit Marktpsychologie – das Beispiel Nvidia

Den richtigen Zeitpunkt für ein Investment zu finden, ist durchaus machbar. Das perfekte Timing zu erwischen, ist allerdings so utopisch, dass den Anleger immer geraten wird: Vergesst diese Idee! Selbst wenn Sie ein gutes Händchen für den Markt und seine Hochs und Tiefs haben.
Was oftmals ein Tief oder ein Hoch war, lässt sich sehr gut erkennen. Im Nachhinein. Mitten im Alltagsgeschäft der roten und grünen Kerzen wird es schier unmöglich, genau am exakten Tag zu sagen: Heute haben wir das Tief oder das Hoch gesehen. Also klar, behaupten kann man das immer, solange bis man Recht hat. Aber wir reden hier von korrekten Aussagen. Oder zumindest Behauptungen, die oft genug dann auch richtig sind.
Den Wendepunkt erraten ist schier unmöglich
Schauen wir uns dazu ein konkretes Beispiel an. NVIDIA, der erfolgreichste Hersteller von Grafikkarten markierte sein Allzeithoch am 22. November 2021 bei 346,47 US-Dollar. In der Folge fielen die Kurse um 68,79 Prozent auf 108,13 US-Dollar. Danach stiegen die Kurse in den vergangenen Monaten wieder an.
Bei diesem Preis vom 108 US-Dollar liegt rein gar nichts im Charts, was uns den Hinweis geben könnte, dass hier Ende des Absturzes sein könnte. Wir können insofern nicht einmal ansatzweise am 13. Oktober 2022 behaupten, dass heute das Tief gemacht wird. Beim Konkurrenten AMD liegt dort ebenfalls das Tief. Es muss offenbar etwas im Chip-Sektor passiert sein, dass wieder mehr Käufer in den Markt zieht.
Das hat uns der Chart nicht verraten. Das ist einfach passiert. Einen Punkt habe sogar noch gefunden, der für diese Zone sprechen könnte. Das wissen wir dann aber auch erst hinterher, falls die Kurse hier drehen. Bei 109,65 US-Dollar liegt das 78,6er Fibonacci-Retracement der großen Aufwärtsbewegung vom Corona-März 2020 bis zum Allzeithoch. Üblicherweise wird das 78,6er als letzte Option angesehen, dass die Kurse hier wieder drehen.
Wenn der Preis unter dieser Marke geschlossen hätten, wäre das Corona-Tief somit ein realistisches Ziel geworden. Laut Charttechnik. Genau an dieser Marke gab es aber eine Gegenbewegung, die die aktuelle Rallye einläuten konnte.
NVIDIA im Tageschart
Hier sehen Sie den Verlauf der letzten Monate. Eingezeichnet habe ich Ihnen 2 rote Pfeile im RSI-Indikator unter dem Chart. Wir haben hier ein Tief im RSI gemacht bei knapp 28 Punkten. Das zeigt der erste rote Pfeil an. Wir waren somit im überverkauften Bereich. Und hier sehen Sie wunderbar, dass überverkauft nicht bedeutet, dass die Kurse sofort wieder steigen müssen.

(Quelle: Tradingview.com)
Denn es ging danach noch tiefer. Nicht im RSI aber im Chart! Das ist ganz entscheidend. Wir haben hier nämlich eine deutliche Divergenz. In diesem Fall für die Bullen. Denn während die Kurse der NVIDIA-Aktie weiter fallen, steigt der RSI! Üblicherweise sehen wir einen groben Paarlauf zwischen Kursen und RSI. Sobald die beiden aber getrennte Wege gehen, wird es Zeit, genauer hinzuschauen.
Wir haben in diesem Fall im RSI höhere Tiefs entdeckt, während die Kurse weiter nach unten fielen. Am 13. Oktober – dort ist der zweite rote Pfeil – sehen wir ein höheres Tief im RSI bei gleichzeitig neuem Jahrestief.
Damit haben wir bereits 2 Argumente, warum es hier zu einem Wendepunkt kommen kann. Einerseits das Fibonacci-Retracement, andererseits die bullische Divergenz im RSI.
Und wer sich nur die Kerzen alleine anschaut, so völlig ohne Indikatoren und Linien, der hat noch etwas entdeckt: ein Bullisch Engulfing. Das bezeichnet eine grüne Kerze die größer ist als die rote Kerze zuvor – in beide Richtungen. Sie sehen, dass es zuvor eine kleine rote Kerze gab. Die grüne Kerze des 13. Oktobers macht ein tieferes Tief als die Vortageskerze und auch ein höheres Hoch. Zusätzlich schließt sie positiv.
Die drei Punkte in der Gesamtheit können durchaus ein qualitativ hochwertiges Einstiegssignal genutzt werden! Wenn Sie nur eines davon erkennen, kann das auch funktionieren. Je mehr Beweise wir finden, desto höher ist die Chance, dass der Trade positiv endet.
Den Markt richtig zu timen, ist in gewissen Punkten also schon möglich und gleichzeitig wieder nicht. Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen, warum ich negativ schreibe. Nun, Sie haben alle 3 Signale für einen Einstieg – aber eben erst am Tagesschluss.
Dann ist die Kerze bereits fertig und die Kurse sind an diesem Tag vom Tief um 10,61 Prozent gestiegen. Das hätten Sie demnach verpasst. Sie kaufen am Tagesende, weil Sie die 3 Punkte richtig analysiert haben und was bekommen Sie als Belohnung? Ein Minus von 7,07 Prozent am nächsten Tag. Die Kurse brachen direkt wieder ein.
Hätten Sie zum Tagesende des Wendepunktes gekauft, wären Sie bei einem Verlust von 6,32 Prozent am Ende des darauffolgenden Tages. Ein perfekter Einstieg sollte anders aussehen. Und dennoch: Sie hätten letztlich eine 57,11 Prozent Rallye mitnehmen können bis zum letzten Hoch am 13. Dezember!
Genau das ist der schwere Teil des Investierens: Sie haben den richtigen Punkt gewählt und der Markt fliegt Ihnen in den nächsten 24 Stunden um die Ohren. Langfristig war der Einstieg quasi perfekt. Doch dann brauchen Sie auch noch die Geduld und den Glauben an Ihre Analyse.
Je mehr Argumente Sie für einen Einstieg finden, desto leichter wird es, den Trade auch durchzuhalten. Hätten Sie an Tag 2 noch daran geglaubt, wenn Sie ein Minus von 7 Prozent sehen? Vielleicht erinnern Sie sich beim nächsten Mal in solch einer Situation daran. Der Markt schüttelt gerne die möglichen Gewinne aus den ängstlichen Händen. Teilweise brauchen wir auch nur einfach Sitzfleisch, wenn der Chart uns die richtigen Signale gibt.