Türkische Lira: Absturz ohne Ende

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Manchmal erstaunt es, wie lange sich ein kontinuierlicher Wertverfall hinziehen kann, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Als 2005 die türkische Lira mit der Währungsreform sechs Nullen verlor, bekam man für 1 € genau 1,98 TRY, so das Kürzel der Währung. Bis Ende 2007 legte sie etwas zu, doch dann begann der Absturz der türkischen Lira, der bis heute anhält.

Auf Zehnjahressicht beträgt der Verlust dem Euro gegenüber gut 160 %, wobei ab Mitte 2015 der Abwärtstrend so richtig Fahrt aufnahm. Mittlerweile kostet 1 € über 4,65 TRY. Nicht anders das Bild gegenüber dem Dollar. Er kostete dieser Tage ganze 3,84 TRY.

Kampf gegen „westliche Zinslobby“

Wer bisher mit Devisenspekulationen auf eine Trendwende gesetzt hatte, wurde herb enttäuscht. Einzig gegenüber dem Dollar gab es ab Anfang 2017 eine leichte Erholung, doch dann ging es umso tiefer in den Keller. Hier beträgt der Wertverlust über zehn Jahre über 222 %. Wie weit kann der Absturz der türkischen Lira denn noch gehen?

Eigentlich hätte die Notenbank die Zinsen schon längst anheben müssen, da die wirtschaftliche Lage zum Zerreißen gespannt ist. Doch für Vernunft ist im politischen Kalkül von Staatsführer Erdogan kein Platz. Und das macht die Sache so unberechenbar.

Trotz einer Inflation von nun 11,9 % verhinderte Erdogan eine Erhöhung der Leitzinsen. Als zuletzt ein Signal an die Finanzwelt unausweichlich wurde, gab es eine kosmetische Anhebung um 25 Basispunkte auf 12,25 %. Offiziell gibt Erdogan den Kämpfer gegen die „westliche Zinslobby“ und behauptet, höhere Zinsen würden die Inflation nur anheizen.

Tatsächlich versucht er, einen Crash der zuvor gut gelaufenen Wirtschaft zu verhindern. Lange gelang es, mit billigem Geld Investitionen zu fördern, den Export zu beflügeln und den Konsum zu stärken. Als die Situation zu verkippen drohte, wurden einige Steuern etwa auf Reiseflüge gesenkt, damit mehr Touristen ins Land kommen.

Türkische Lira ist billigste Währung der Welt

Als das nicht mehr ausreichte, heimische Firmen in Zahlungsschwierigkeiten gerieten und die Bürger mit der schwachen Lira immer weniger kaufen konnten, wurden allem Anschein nach statistische Zahlen zur Wirtschaftsleitung geschönt. Dabei haben ausländische Investoren längst ihre Gelder abgezogen. Selbst mit 12 % verzinste Staatsanleihen werfen nach Abzug der Kaufkraftverluste keine Rendite mehr ab. Deshalb schichteten Investoren in attraktiver gewordene US-Bonds um.

Auch die 6.800 vor Ort vertretenen deutschen Unternehmen haben ihre Investitionen zurückgefahren. Wenn immer mehr Kapital flüchtet, wird es auch für die ehrgeizigen Infrastrukturprogramme eng, mit denen Erdogan das Land gerade umbaut. Vom Bestreben getrieben, eine Türkei der Superlative zu schaffen, hat er zumindest eines erreicht: Die Lira ist die billigste Währung der Welt.

Und weil zahlreiche seiner Landsleute versuchen, wenigstens im Devisengeschäft den Absturz der türkischen Lira für sich zu mildern, wurde im Sommer den Türken der Forex-Handel über ausländische Broker verboten. Der inländische Handel indes unterliegt immer stärkeren Restriktionen. Türkische Anleger stehen dabei eher auf der Verkäuferseite, weil sie ihre Kaufkraft und Ersparnisse sichern wollen. Das verstärkt den Abwertungsdruck.

Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?

Investoren gehen, Spekulanten stehen auf der Matte. Der Rest der Welt wettet auf eine wieder steigende Lira, sei es über Optionsscheine, Devisen-Futures oder Hebelzertifikate, CFDs oder, indem  Lira in beliebiger Menge gekauft wird.

Banken wie Goldman Sachs oder Société Générale setzen schon länger auf die Lira – weil sie als die am meisten unterbewertete Währung der Welt angesehen wird. Wer sich dem anschließen will, befindet sich zwar in guter Gesellschaft, doch ist zu bedenken, dass Banken notfalls einen längeren Atem haben.

Der Absturz der türkischen Lira könnte noch eine ganze Weile weiter gehen. Keiner weiß, was sich Erdogan noch einfallen lässt, nur um als Wirtschaftswundermann in zwei Jahren wiedergewählt zu werden. So lange jedoch wird er seine Geschichte vom Segen niedriger Zinsen nicht weiter erzählen können. Dafür ist die Abhängigkeit von ausländischem Kapital viel zu groß.

Lässt er die Zinsen auf ein realistisches Niveau erhöhen, riskiert er natürlich, dass der Einbruch der Wirtschaft nicht mehr zu kaschieren ist. Erdogan steht vor der Wahl: ein Ende mit Schecken oder ein Schrecken ohne Ende.