Magisches Viereck und Sechseck: Was hat es damit auf sich?

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Die Wirtschaftspolitik kann auf vielfältige Weise die Entwicklung an den Finanzmärkten lenken. Diese Entscheidungen betreffen uns alle. Um bösen Überraschungen entgegenzuwirken, ist es wichtig, die Ziele und das Handeln der Politik zu verstehen. Das „magische Viereck“ kann vor allem Privatanlegern dabei helfen, zukünftige Entscheidungen der Politik besser vorherzusagen.

Das Magische Viereck ist eine grafische Darstellung der vier Ziele, die mit dem „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ (Stabilitätsgesetz) seit 1967 in Deutschland sichergestellt werden sollen: Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlstand und Sicherheit. Auf den ersten Blick hört sich dies nach einem sinnvollen Bestreben an. Doch leichter gesagt als getan. Bei einer genaueren Betrachtung werden schnell die Schattenseiten deutlich: Sinkende Investitionen, steigende Inflation und Arbeitslosigkeit sind die zwangsläufigen Folgen, die bei dem Versuch entstehen, alle vier Ziele gleichzeitig zu verfolgen.

Magisches Viereck: Die Grenzen der Wirtschaftspolitik

Das magische Viereck bildet die im Stabilitätsgesetz verankerten Ziele ab. Werte wie Gerechtigkeit oder Sicherheit lassen sich nur schwer messen. Daher werden sie hier durch messbare Werte ersetzt. Diese Werte sind: ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum, Preisniveaustabilität, ein hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht.

Magisches Viereck

Die Bezeichnung „magisches Viereck“ soll ausdrücken, dass es für eine Regierung nicht möglich ist, alle vier Ziele gleichzeitig zu erreichen. Nichtsdestotrotz ist die Wirtschaftspolitik durch das Stabilitätsgesetzt dazu gezwungen, alle vier Ziele zu verfolgen. Die Verfolgung eines Ziels kann dabei häufig nur zu Lasten eines anderen Ziels erfolgen. Das Verständnis über die sich daraus ergebenen Zielkonflikte ist für die Wahl einer erfolgreichen Anlagestrategie daher von essentieller Bedeutung.

Wirtschaftswachstum versus Inflation: nicht vereinbar im magischen Viereck

Die Entwicklung zahlreicher Aktienkurse ist stark von den einzelnen Konjunkturzyklen abhängig. Wenn sich die Konjunktur in einem Aufschwung befindet, werden die Unternehmen mehr investieren und mehr Auftragseingänge verzeichnen. Die Unternehmen setzten mehr ab und fahren höhere Gewinne ein. Auch die Stimmung an den Finanzmärkten ist in dieser Phase sehr positiv. Daher ist von einem deutlichen Anstieg der Aktienkurse auszugehen.

Wegen der höheren Nachfrage werden in einem Konjunkturaufschwung allerdings auch die Preise steigen. Die Inflationsrate nimmt zu. Ein Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Preisstabilität ist somit unumgänglich. Ein Blick auf das magische Viereck erlaubt es nun, aussagekräftige Annahmen über die Reaktionen der Zentralbank zu treffen. Um das Ziel der Preisniveaustabilität nicht zu gefährden, ist diese dazu gezwungen, den Leitzins zu erhöhen. Dadurch werden die Kurse von Anleihen sinken. Wenn ein Zinsanstieg erwartet wird, sollten daher Anleihen mit einer langen Laufzeit gemieden werden.

Ein hoher Beschäftigungsstand

Zwischen den beiden Zielgrößen hoher Beschäftigungsstand und Wirtschaftswachstum besteht hingegen ein positiver Zusammenhang: Wächst die Wirtschaft, so nimmt die Produktion zu. Unternehmen stellen mehr Arbeiter ein, um die steigende Konsumnachfrage befriedigen zu können. Ein hoher Beschäftigungsstand ist daher in der Regel mit hohen Gewinnen und guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbunden.

Das magische Viereck zeigt allerdings auch, wie sich negative Entwicklungen übertragen können. So wirkt sich zum Beispiel eine schrumpfende Wirtschaftsleistung negativ auf die Beschäftigung aus. Der Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosenquote stellt ein interessantes und kontroverses Thema dar.

Außenwirtschaftliches Gleichgewicht: Vor- und Nachteile

Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht stellt sich ein, wenn die Importe eines Landes den Exporten entsprechen. Gemessen wird dies anhand der

Außenbeitragsquote. Um diese zu bestimmen, muss man lediglich die Importe von den Exporten abziehen und durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) teilen. Da ein Prozentwert gesucht wird, muss das Ergebnis noch mit 100 multipliziert werden.

Exporte sind der Motor der deutschen Wirtschaft. Auch wenn laut Stabilitätsgesetzt alle vier Ziele gleichwertig sind, wird dieses Ziel als nicht so wichtig angesehen. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht kann über die Einführung von Export-Zollen oder Einfuhrbeschränkungen erreicht werden. Diese wirken sich allerdings negativ auf die Ziele Wirtschaftswachstum und Beschäftigung aus. Wenn ein Land viel exportiert, ist seine Währung einem starken Aufwertungsdruck ausgesetzt. Dieser Effekt lässt sich leicht anhand eines einfachen Beispiels erklären.

Ein Beispiel

Ein amerikanisches Unternehmen kauft von einem deutschen Hersteller eine Maschine. Um diese bezahlen zu können, muss die amerikanische Firma US-Dollar gegen Euro am Devisenmarkt umtauschen. Aufgrund der hohen Nachfrage nach deutschen Produkten steigt auch die Nachfrage nach Euro.

Dadurch erhöht sich wiederum der Preis der Währung. Dieser Preis ist der Wechselkurs. Eine Angleichung der Importe und Exporte kann das Wirtschaftswachstum bremsen. Allerdings ist es möglich, durch eine Relativierung der Außenbeitragsquote eine Aufwertung der Währung abzudämpfen.

Alternativmodell: Das magische Sechseck

Das magische Viereck birgt viel Konfliktpotenzial, hilft aber auch, Entscheidungen der Politik besser zu verstehen. Ein anderes Modell beinhaltet sogar nicht nur vier, sondern vielmehr sechs Ecken: Das magische Sechseck ist in der Wirtschaftpolitik ein effektives Modell, um zu verstehen, wann, wie und warum die Politik bestimmte Maßnahmen ergreift. Das Modell bildet sechs wichtige Ziele der Wirtschaftspolitik ab. Im Gegensatz zu seinem kleinen Bruder, dem magischen Viereck, beinhaltet es also zwei Ziele bzw. Ecken mehr. Auch hier steht das Adjektiv „magisch“ dafür, dass nicht alle sechs Ziele gleichzeitig unter einen Hut zu bringen sind. Die Ziele sind:

  • hohe Beschäftigung
  • außenwirtschaftliches Gleichgewicht
  • stabiles Preisniveau
  • angemessenes und stabiles Wirtschaftswachstum
  • Schutz der Umwelt
  • gerechte Einkommensverteilung

Was bei vier Zielen schon kaum zu erreichen ist, wird bei sechs Zielen allerdings ein Ding der Unmöglichkeit. Möchte man das eine Ziel erreichen, so ist dies häufig nur auf Kosten eines anderen Ziels möglich.

Die Rolle der Inflation im magischen Sechseck 

Inflation stellt eine der größten Gefahren für einen Anleger dar. Aus diesem Grund ist es wichtig zu verstehen, welche Ziele im magischen Sechseck die Inflation in die Höhe treiben. Ein bekanntes ökonomisches Modell ist die Phillips-Kurve. Dieses Modell sagt aus, dass eine hohe Inflation die Arbeitslosenquote senkt. Die Grafik wurde häufig als „Speisekarte“ betrachtet. Die Politiker glaubten, dass sie sich eine Kombination von Arbeitslosigkeit und Inflation aussuchen konnten. Für ein stabiles Preisniveau musste ein Land auf einen hohen Beschäftigungsstand verzichten. War jedoch eine niedrige Arbeitslosenquote erwünscht, so musste diese durch eine höhere Inflationsrate „erkauft“ werden.

Heutzutage wird die Gültigkeit der Phillips-Kurve allerdings stark in Frage gestellt. Einer der größten Kritiker war der Nobelpreisträger Milton Friedman. Es ergibt sich also folgendes Problem: Der Versuch, die Beschäftigung zu erhöhen, kann auch die Inflation in die Höhe treiben. Wirtschaftliches Wachstum kann die Inflation zudem weiter anfachen. Wenn die Konjunktur anzieht und die Produktion steigt, dann steigen in der Regel auch die Preise. Um das Ziel der Preisstabilität zu verfolgen, muss der Leitzins erhöht werden. Dadurch müssen die Unternehmen mehr für Kredite bezahlen. Die Investitionen werden teurer und das Wachstum der Wirtschaft nimmt ab.

Weitere Spannungsfelder zwischen den „Ecken“

Darüber hinaus können sich auch Spannungen zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum ergeben, denn das Einhalten von Umweltvorschriften kann für Unternehmen sehr teuer sein. Häufig müssen diese neue Investitionen tätigen, um nicht gegen die neuen Gesetze zu verstoßen. Die gesamten Kosten für die betroffenen Unternehmen erhöhen sich damit und die Gewinne schrumpfen. Dies führt dazu, dass sie weniger Kapital für Gewinnausschüttungen zur Verfügung haben. Die Forderung nach einer gerechteren Einkommensverteilung kann beispielsweise zu einer Begrenzung von Managergehältern oder Boni führen.

Es bleibt festzuhalten, dass es „die eine richtige Wirtschaftspolitik“, die allen Zielen gerecht wird, nicht geben kann, weil man unmöglich alle sechs Ziele gleichzeitig umsetzen kann. Die Politik muss bei ihren Entscheidungen also einen Kompromiss finden und stets das kleinste Übel auswählen. Die Auffassung darüber, ob ein Ziel wichtiger ist als ein anderes, wird sich je nach Aktualität und amtierender Regierung immer unterscheiden. So ist zum Beispiel in guten wirtschaftlichen Zeiten die Bevölkerung in der Regel besser auf das Thema Umweltschutz zu sprechen als in schlechten. In anderen Worten: Einige Ziele des magischen Sechsecks stehen in einem krassen Widerspruch zueinander.