Auto-Aktien mit einem KGV von 7 sind eine Sünde wert
Am heutigen Freitag erhalten Sie ein aktuelles Interview mit Rolf Morrien.
GeVestor-Redaktion: Herr Morrien, heute hat der DAX nach Handelsbeginn ein neues Jahreshoch erreicht. Und das ausgerechnet im gefürchteten Börsen-Monat September. Was sagen Sie dazu?
Rolf Morrien: Alte Börsenregeln gelten aktuell nicht. Wir erleben eine politische Börse. Kurzfristig bestimmen die Regierungen und Notenbanken die Kursentwicklung am Aktienmarkt.
Und der September 2012 ist der Monat der Notenbanken. Gestern hat EZB-Chef Draghi den Kauf von Staatsanleihen ohne Obergrenze angekündigt und damit eine Kursrally ausgelöst. Nächste Woche wird die US-Notenbank FED im Fokus stehen.
GeVestor-Redaktion: Was erwarten Sie von der FED?
Rolf Morrien: Die US-Notenbanker konnten gestern live miterleben, wie erleichtert der Markt auf Stützungsprogramme der Notenbanken reagiert. Das könnte die FED ermuntern, ebenfalls einen großen Schritt zu machen.
GeVestor-Redaktion: Was wäre ein großer Schritt?
Rolf Morrien: Das neue Hilfsprogramm der FED müsste mindestens ein Volumen von 500 Milliarden US-Dollar haben. Viele Analysten rechnen sogar mit 600 Milliarden Dollar. Fällt das Programm kleiner aus, würde der Markt wahrscheinlich enttäuscht reagieren.
500 bis 600 Milliarden US-Dollar. An diese Größenordnungen muss man sich erst einmal gewöhnen. Das klingt nach Monopoly-Spielgeld. Kein Wunder, dass Gold wieder gefragt ist. Gold kann nicht einfach gedruckt werden.
GeVestor-Redaktion: Über Gold haben wir bereits in der Vorwoche gesprochen. Sie bekräftigen, wenn ich Sie richtig verstehe, Ihre Kauf-Empfehlung?
Rolf Morrien: Ja, auf jeden Fall. In meinen Börsendiensten Power-Depot und Depot-Optimierer haben wir 2012 die Gold- und Silber-Positionen deutlich ausgebaut. Wenn Sie sich die hemmungslose Gelddruckerei der Notenbanken anschauen, ist das der logische Schritt.
GeVestor-Redaktion: Wechseln wir das Thema. Sie empfehlen Gold, aber was ist mit Aktien? Wie wird sich der DAX entwickeln?
Rolf Morrien: Die erste Reaktion haben wir gestern und heute erlebt. Der DAX hat ein neues Jahreshoch erreicht. Die Notenbank löst mit dem Kauf von Staatsanleihen keine Probleme, schenkt den Regierungen aber 2 bis 3 Jahre Zeit, die Schuldenkrisen zu entschärfen.
Da das kurzfristige Risiko einer schnellen Währungsreform seit gestern gesunken ist, kann der Risiko-Abschlag am Aktienmarkt reduziert werden. So kommt der deutsche Leitindex DAX aktuell auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11. Der historische Durchschnitt liegt bei 14. Die Differenz ist der Risiko-Puffer.
Dieser Risiko-Puffer kann nach der jüngsten Notenbank-Aktion reduziert werden. Das spricht für einen steigenden DAX. Wenn jetzt auch noch die US-Notenbank Geld in das System pumpt, wären 8.000 Punkte auf Sicht von 6 Monaten keine große Überraschung.
GeVestor-Redaktion: Was soll der Anleger tun? Den ganzen DAX kaufen?
Rolf Morrien: Ein Index-Fonds auf den DAX ist ein gutes Basis-Investment. Auch auf langfristige Sicht. Wer etwas mehr Zeit hat, kann sich auch Einzelwerte herauspicken, da wir aktuell eine Zweiklassengesellschaft im DAX erleben.
Rund 70 bis 80% der DAX-Unternehmen sind gemessen an den historischen Bewertungen relativ normal bewertet. Denken Sie an Adidas, Henkel, Linde, SAP oder Fresenius. Top-Unternehmen, aber nicht mehr ganz billig. Eine extreme Unterbewertung weisen dagegen 2 Branchen auf:
Die Versicherungs-Titel Allianz und Münchener Rück und die Auto-Werte BMW, Daimler und VW. Wer angesichts der Finanzkrise Banken und Versicherungen meidet, kann bei den Auto-Werten zuschlagen. Hier finden Sie niedrige KGV-Werte und zum Teil sehr hohe und attraktive Dividenden.
GeVestor-Reaktion: Wie kommt es zu dieser Zweiteilung im DAX?
Rolf Morrien: Die Angst bei den Finanzwerten kann ich noch halbwegs verstehen. Wenn es nach Griechenland in Italien oder Spanien einen zweiten Schuldenschnitt gibt, haben die Banken und Versicherungen ein riesiges Problem.
Auch die 0-Zins-Politik belastet die Unternehmen, die große Kapitalbeträge gewinnbringend anlegen müssen. Bei den Auto-Werten sehe ich dagegen eine irrationale Angst. Der Schock der Lehman-Krise sitzt den Investoren noch in den Knochen.
GeVestor-Redaktion: Warum das?
Rolf Morrien: Die Finanz- und Konjunkturkrise hat in der Automobilbranche einen brutalen Absturz ausgelöst. Ein Beispiel. Im Boomjahr 2007 hat der Premium-Hersteller BMW knapp 5 Euro pro Aktie verdient. In den Krisenjahren 2008 und 2009 konnte das in den vergangenen Jahren nahezu perfekt geführte Unternehmen nur hauchdünn einen Verlust vermeiden.
Und damit war BMW schon ein positiver Ausnahmefall. Hohe Verluste waren in der Phase normal. Die Aktienkurse rauschten in den Keller. Die BMW-Aktie stürzte von über 50 auf unter 20 Euro ab. Damals hat mir ein Leser sogar eine Wette angeboten: Angesichts der Finanzkrise sei der Automobilmarkt tot.
Innerhalb von 12 Monaten erwartete der Leser den Konkurs von BMW oder Daimler. Mit viel Glück könne vielleicht ein Premium-Anbieter die Jahrhundertkrise überleben…
GeVestor-Redaktion: Und was ist aus der Wette geworden?
Rolf Morrien: Ich habe sie natürlich nicht angenommen. Das Ergebnis wäre aber sehr deutlich ausgefallen. Bereits 1 Jahr später, im Geschäftsjahr 2010, haben Daimler und BMW wieder so viel verdient wie im Boomjahr 2007. Innerhalb von Monaten hat sich die angebliche Jahrhundertkrise der Automobilhersteller in Luft aufgelöst.
Aber der Kursabsturz 2008/2009 sitzt den Anlegern noch heute in den Knochen. Dabei ist genau dieser Schock auch der Grund, warum ich im Jahr 2012 wieder Automobil-Aktien zum Kauf empfehle. Wenn in Westeuropa der PKW-Verkauf um 5 oder 10% einbricht, ergeben sich wunderbare Einstiegs-Chancen.
Der Gegenwind reichte schon, um die Aktien der Autohersteller und Zulieferer um 30% nach unten zu drücken. Daher die extrem niedrigen und attraktiven Bewertungen.
GeVestor-Redaktion: Sie würden Auto-Aktien also in der Krise kaufen?
Rolf Morrien: Ja. Und das aus 2 Gründen. Zum einen haben die Unternehmen aus der Krise 2008/2009 gelernt und entsprechende Notfallpläne in der Schublade. So kann BMW nach eigener Einschätzung sogar einen brutalen Nachfrage-Absturz von 30% auffangen.
Außerdem haben die Unternehmen die hohen Gewinne 2010 und 2011 genutzt, um einen finanziellen Puffer aufzubauen. Die Eigenkapital-Quoten sind deutlich höher als vor 3 Jahren. Die Unternehmen sind auf Gegenwind eingestellt. Das war 2008 anders. Daher wird der Fall nicht so tief sein.
Zum anderen zeigt gerade die Krise 2008/2009, wie schnell sich der Markt erholt. Autos sind kein Luxusgut, Autos werden gebraucht und müssen gekauft werden. Daher kommt es zwangsläufig zu einer Erholung.
GeVestor-Redaktion: Können Sie den letzten Punkt genauer erklären?
Rolf Morrien: Nehmen wir das aktuelle Beispiel USA. Das ist ein großer und gesättigter PKW-Markt. In der Finanzkrise gab es in der Branche einen Käuferstreik. Der Auto-Verkauf brach ein. Aber genau in diesen Monaten zeigt sich: Die Auto-Käufe wurden nur zeitlich nach hinten geschoben.
Je älter das Auto wird, desto höher die jährlichen Kosten. Irgendwann ist dann die Finanzierung des neuen Autos günstiger als der Dauerbesuch in der Werkstatt. Obwohl die US-Wirtschaft nur langsam wächst und obwohl der Arbeitsmarkt schwächelt, steigen die Auto-Verkaufszahlen rasant.
Die amerikanischen Autofahrer müssen kaufen. Im Krisenjahr 2009 wurden in den USA nur rund 10 Mio. Autos verkauft. 2012 werden es mehr als 14 Mio. Autos sein. Mitten in der Konjunkturkrise wächst der gesättigte US-Markt zweistellig. VW hat im August 2012 über 60% mehr Autos in den USA verkauft als im Vorjahresmonat.
Das ist natürlich ein positiver Ausrutscher, aber auf Wachstumsraten von über 10% kommen viele VW-Konkurrenten. Je älter das Durchschnittsalter der PKWs, desto größer der Kauf-Zwang. Der Rost ist der beste Freund der Autobauer und Zulieferer. Und warum sollte das in Europa anders sein?
Griechenland ist sicherlich ein spezieller Fall, aber in den großen Märkten Deutschland und Frankreich wird es diesen Nachholeffekt geben. Wer 2012 nicht kauft, muss spätestens in 2 Jahren kaufen. Auto-Aktien mit einem KGV von 7 sind daher eine Sünde wert.
GeVestor-Redaktion: Sehen Sie noch weitere Kurstreiber für Auto-Aktien?
Rolf Morrien: Ja. Die Investoren konzentrieren sich noch zu stark auf die Schuldenkrise in Europa. Der europäische Automarkt ist wichtig, aber im globalen Vergleich nicht entscheidend. Weltweit wird der Auto-Markt auch im schwierigen Jahr 2012 wachsen.
Mittel- und langfristig warten goldene Jahre auf die Automobilbranche. Die kaufkräftige Mittelschicht in den Wachstumsregionen sorgt für einen Nachfrageschub. Das McKinsey Global Institute erwartet, dass sich der globale PKW-Bestand bis zum Jahr 2030 auf 1,7 Milliarden erhöhen wird.
Wem das zu weit in der Zukunft liegt, der kann sich die neueste Studie des weltweit größten Chemiekonzerns durchlesen. BASF hat die Autoindustrie als wachstumsstarken Kunden für Chemikalien identifiziert.
BASF erwartet, dass die Autohersteller die weltweite Produktion von 77 Mio. im Jahr 2011 auf 122 Mio. PKWs im Jahr 2020 steigern werden.
Daher baut BASF neue Chemie-Anlagen für die Automobilindustrie. Der BASF-Konkurrent Lanxess hat dazu passend in dieser Woche angekündigt, in China ein neues Werk für 235 Mio. Euro bauen zu wollen. Dort wird zukünftig Chemie für die boomende Autoindustrie hergestellt.
Während an der Börse der Untergang der Automobilbranche eingepreist wird, bereitet sich die Chemie-Branche auf den nächsten Automobil-Boom vor. Im Zweifel halte ich die Chemie-Manager für bessere Branchen-Insider als die oft sehr kurzfristig denkenden Bank-Analysten.
GeVestor-Redaktion: Herr Morrien, vielen Dank für diese aktuelle Einschätzung zur Automobilbranche.