Türkei in der Abwärtsspirale – das sind die Risiken

In jeder Krise gibt es üblicherweise auch Gewinner. Die Währungskrise der Türkischen Lira kennt derzeit vor allem zwei: mutige Anleger, die sich von einer 13,5 %-Rendite zehnjähriger türkischer Staatsanleihen angezogen fühlen, und die Tourismusbranche, weil die Währung so billig ist wie nie. Nach flauen Jahren hat etwa TUI seine Flugkapazitäten drastisch aufgestockt.
Türkische Lira im freien Fall
Im Idealfall tauschen Reisende einen Teil ihres Geldes für Einkäufe erst gegen Ende vom Urlaub um, denn die Türkische Lira verfällt täglich mehr. Über drei Jahre hinweg hat sie im Verhältnis zum Euro um rund 110 % nachgegeben. Allein ab August ging es ca. 27 % bergab. Im Verhältnis zum US-Dollar ist das Bild fast identisch.
Der jüngste Abwärtsschub entstand durch den eskalierten Streit mit den USA. Trumps Sanktionen und Strafzölle sind eine Reaktion auf die Inhaftierung eines amerikanischen Priesters und 15 weiterer US-Bürger, womit Erdogan die Auslieferung seines in den USA lebenden Erzfeindes Fetullah Gülen bezwecken will. Dafür und für seinen Machterhalt scheint er alles zu riskieren, bis hin zur Nato-Mitgliedschaft und der Annäherung an Staaten wie Russland, China, Iran oder Katar.
Der Golfstaat war ihm kürzlich mit 15 Mrd. US-Dollar zu Seite gesprungen, was der Türkischen Lira ein paar Tage Auftrieb gab. Doch der Betrag hilft angesichts von rund 230 Mrd. US-Dollar Schulden wenig. In dieser Höhe müssen Staat, Haushalte und Unternehmen Kredite bedienen. Beim galoppierenden Währungsverfall fällt dies immer schwerer.
Nachbar Griechenland infiziert
Dass dies schon seit Jahren so geht und Ratingagenturen die Türkei herabstufen, liegt vor allem an Erdogans Druck auf die Zentralbank, die Zinsen niedrig zu halten. Damit will er die Wirtschaft unter anderem zur Realisierung seiner ehrgeizigen Projekte gewogen halten. Mittlerweile ist die Lage derart verfahren, dass eine eigentlich notwendige Zinsanhebung alles nur noch schlimmer machen würde. Für einen Ausstieg aus der Misere wären dringend hohe zweistellige Milliardenbeträge als Finanzspritze nötig.
Es droht der Staatsbankrott und Konkurse von Firmen, die ihre Auslandsschulden nicht mehr bezahlen können. Neben türkischen Banken wären auch europäische Kreditinstitute betroffen. Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien haben Kredite von insgesamt 145 Mrd. Euro vergeben. Die stehen auf dem Spiel. Zu den großen Geldgebern zählen UniCredit und BNP Paribas. Die Commerzbank beziffert ihr Risiko auf 2,5 Mrd. Euro. Von einer drohenden Kreditklemme geht die Fachwelt jedoch nicht aus.
Was auf jeden Fall leidet, ist der Export in die Türkei. Als erstes hat dies Griechenland zu spüren bekommen, dessen Wirtschaft sich nach der Krise zaghaft zu erholen begann. Zehnjährige griechische Anleihen sind um fast einen Prozentpunkt auf 4,3 % gestiegen.
Deutsche Unternehmen warten ab
Dennoch: Auf den Euroraum wirkt sich der Exporteinbruch kaum aus. Dafür ist die Türkei nicht groß genug. Abwartend gibt sich die deutsche Wirtschaft. Rund 6.500 Unternehmen sind direkt im Türkeigeschäft engagiert. Die großen, die vor Ort aktiv sind, werden zwar mit Umsatzeinbußen konfrontiert, müssen aber gleichzeitig für Produktionskosten in der Türkei weniger Geld ausgeben. Dazu gehören unter anderem Siemens, Daimler, die VW-Tochter MAN oder Hugo Boss.
Weltweit gesehen sind allerdings negative Auswirkungen auf die Schwellenländer festzustellen. Die Türkei selbst ist ein Schwellenland und die Aufmerksamkeit auf Verschuldungen auf Dollarbasis geweckt. Der Absturz der Türkischen Lira hat als Sogwirkung bereits die Währungen von Russland, Indien, Südafrika erheblich geschwächt. Ob die Sorgen berechtigt sind, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin präsentieren sich die Schwellenländer finanziell deutlich stärker als noch vor 15 Jahren.